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Bei den Deutschen Marathon-Meisterschaften 1976 in Kandel mischte Werner Rathert (Nr. 298) auch bei den Sehenden im vorderen Teil des Feldes mit. Die Schrittmacher-Dienste leistete Peter Middel auf dem Fahrrad.
Der blinde Läufer Werner Rathert, der am 9. November seinen 90. Geburtstag feiert, kam in den letzten Jahren regelmäßig zum Oldie-Treffen der Dortmunder Langstreckler nach Dortmund, doch in diesem Jahr wird er nicht dabei sein. Nach einem Sturz hat ihm sein behandelnder Arzt empfohlen, keine weiten Touren allein zu unternehmen. „Es ist nichts Schlimmes passiert, aber ich muss in meinem Alter vorsichtig sein, schließlich möchte ich mich auch in Zukunft noch bewegen können", betont der frühere Post-Betriebsleiter.
2007 zog es den erfolgreichen Marathonläufer nach dem Tod seiner Ehefrau Magdalena nach Bleicherode im Harz. Beim Wandern im Teutoburger Wald lernte er seine jetzige Frau Brigitte kennen, mit der er seit 19 Jahren verheiratet ist. Inzwischen wohnt das Paar in Hundeshagen, einem kleinen Dorf im thüringischen Eichsfeld.Von dort reiste der Nichtsehende in den vergangenen Jahren immer mit blindem Vertrauen zum Treffen nach Dortmund an. Seine Frau Brigitte brachte ihn zum Bahnhof in Leinfelden. Anschließend war der Rathert, der trotz seines schweren Schicksalsschlag nie seinen Humor und Optimismus verloren hat, auf der fünfstündigen Bahnfahrt von Hundeshagen nach Dortmund auf sich allein gestellt.
Werner Rathert nahm gerne die Reisestrapazen auf sich, denn Dortmund bildete bis vor 18 Jahren seinen Lebensmittelpunkt. Dort erlernte er nach seinem Schulabschluss den Beruf des Bierbrauers und des Gärtners. Als er mit 19 Jahren am Grünen Star erkrankte, machte er eine Ausbildung zum Stenotypisten und ging 1960 zur damaligen Bundespost. Dort stieg er bis zum Betriebsinspektor auf.
Zu schnell für (fast) jeden Guide
Der Postbeamte verlor trotz seiner Erblindung nicht den Lebensmut. Im benachbarten Rombergpark und in der Bittermark entwickelte sich beim regelmäßigen Jogging seine große Lauf-Leidenschaft. Dabei musste ihn immer ein sehender Läufer, mit dem er mit einer kurzen Schnur verbunden war, begleiten. Da sich Werner Rathert im Behindertensport nicht genügend gefordert fühlte, schloss er einem Leichtathletikverein an. Und er wurde schneller und schneller, sodass er bei Wettkämpfen nur noch von einem Radfahrer begleitet werden konnte.
Marathon-Olympia-Teilnehmerin Gaby Wolf führte bei einer Langstrecken-Veranstaltung Werner Rathert über die Strecke. [Foto: privat]
Ohne Probleme schaffte er 1972 die Qualifikation zur Teilnahme an der Deutschen Marathonlauf-Meisterschaft in Dudenhofen. In den 70er und 80er Jahren erzielte der Dortmunder Zeiten, von denen die meisten sehenden Hobby-Marathonläufer nur zu träumen wagten. So stellte er 1977 in Berlin mit 2:36:15 Stunden einen Weltrekord für blinde Marathonläufer auf. Werner Rathert war aufgrund seiner herausragenden Leistungen in vielen Medien präsent. 1975 war er sogar Gast im ZDF-Sportstudio.
Weltbestzeit über 100 Kilometer
Bis 1990 nahm Werner Rathert allein an 36 Läufen über die Marathondistanz teil, so unter anderem in Berlin, Göteborg und Dortmunds Partnerstadt Buffalo/USA. Mit der Zeit reichte Werner Rathert jedoch die 42,195 Kilometer lange Strecke nicht mehr. So absolvierte er 1976 in Hamm einen 100-Kilometer-Lauf, stellte mit 7:48 Stunden eine neue Weltbestzeit für Nichtsehende auf und belegte unter 800 Teilnehmern den vierten Rang. Das Tempo war so hoch, dass sich zwei Radfahrer als Schrittmacher ablösen mussten.Noch während seiner aktiven Zeit ließ sich Werner Rathert zum Leichtathletik-Trainer ausbilden. Anschließend trainierte er eine Gruppe sehender Frauen, von denen sich Gaby Wolf 1988 für die Olympiateilnahme in Seoul qualifizieren konnte.
Für die herausragenden Leistungen im Sport wurde Werner Rathert 1988 mit dem Bundesdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Der blinde Läufer war in Dortmund jahrelang Teil einer Laufgemeinschaft, die Inklusion vorlebte, lange bevor das Wort in aller Munde war.
Das Leben ist für Werner Rathert kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Daher ist der Geburtstagsjubilar trotz seines stolzen Alters immer noch körperlich aktiv. So macht er jeden Morgen Gymnastik und marschiert auf ihm bekannten Strecken in Hundeshagen - allerdings nur in Begleitung seiner Frau Brigitte. Sonst zeigt ihm sein Arzt die „Rote Karte“.
[Peter Middel]