Quelle: P. Romahn
Christian Schmees wiegt den Kopf hin und her. Die erste Halbzeit des Landesliga-Derbys BSV Roxel gegen den VfL Senden bot den rund 200 Zuschauer*innen am vergangenen Sonntag nicht allzu viel Spektakel. „Bis auf den Regen war in den ersten 45 Minuten nicht viel los“, sagt der Mesumer, der aber nicht zum Fußballschauen gekommen ist, sondern um die Leistung des Schiedsrichtergespanns um Jonas Grütter zu beurteilen. Christian Schmees ist Schiedsrichterbeobachter. Für FLVW.de haben Michelle Pruß und Philipp Romahn den Beobachter einen Tag lang begleitet und ihm über die Schulter geschaut.
Es ist 13:15 Uhr, als es von Mesum im FLVW-Kreis Steinfurt auf den Weg nach Münster geht. Nicht nur die Schiris müssen pünktlich vor Ort sein, sondern auch der Beobachter. „Ich bin immer eine Stunde vor Anstoß da“, erzählt Christian Schmees auf der Fahrt. So könne er sich vor dem Spiel in Ruhe bei den Schiedsrichtern vorstellen, etwas Smalltalk halten und sich anschließend in Ruhe vorbereiten. Neben der Suche nach einem geeigneten Platz, von wo aus er das Spielgeschehen gut einschätzen kann, gehört dazu die Vorbereitung einiger Notizen: Wer spielt in welchen Farben? Wie sind die äußeren Bedingungen? Wie lauten die Startaufstellungen? „Jeder Beobachter hat da seinen persönlichen Stil. Wichtig ist, dass man am Ende auf Grundlage seiner Notizen zum Spiel ein gut begründetes Feedback geben kann“, sagt der 43-Jährige.Er achte bei seinen Beobachtungen besonders auf das Laufverhalten und das Auftreten der Unparteiischen. Dabei sei Authentizität wichtig, so Schmees. „Wenn du das Spiel für den Beobachter pfeifst, geht das in die Hose. Es geht um das Spiel und nicht um uns“, merkt er an. Seine Notizen fließen am Ende in den sogenannten Beobachtungsbogen. In ihm wird die Leistung des Schiedsrichters nach 60 Kriterien bewertet. Das klingt nach viel, doch wenn man sich die Kategorien genauer anschaut, wird diese Aufteilung verständlicher.
Bei der Arbeit: Christian Schmees beobachtet und bewertet die Schiri-Leistung anhand von 60 Kriterien in einem standardisierter Bogen [Fotos: M. Pruß & P. Romahn].
Drei Beispiele: Es gibt die übergeordneten Kategorien Persönlichkeit, Spielverständnis und Disziplinarkontrolle. Sie nehmen verschiedene Aspekte der Spielleitung in den Fokus. Auf einer Skala von eins bis sechs bewertet der Beobachter den Schiedsrichter. Dabei ist – genau umgekehrt zur Schulbenotung – eins der schlechteste und sechs der beste Wert. Christian Schmees erklärt, was es mit der Bepunktung auf sich hat: „Jeder Schiri startet in den jeweiligen Kategorien bei einem Mittelwert von vier. Das ergibt eine Ausgangsnote von 240 Punkten. Auf Grundlage meiner Notizen bewerte ich dann, ob ich in den Kategorien Punkte hinzugebe, abziehe oder sie beim Ausgangswert belasse.“
Der Bogen ist digital und wird vom DFB auch bei den Profis in der Bundesliga genutzt. Zur laufenden Saison wurde er umfassend überarbeitet. „Früher gab es die Bögen noch per Post nach Hause“, schmunzelt Schmees. „Da war es aber auch so, dass ich als Schiri nach dem Spiel kein Feedbackgespräch bekam, sondern immer erst mit der Post sicher sein konnte, wie meine Leistung bewertet wurde.“ Heute geht es durch die Digitalisierung schneller. Die Spannung der Schiris darüber, wie sie abgeschnitten haben, dürfte sich jedoch nicht verändert haben. Ein erstes Gefühl bekommen sie im Feedbackgespräch nach dem Abpfiff.
Glückliche Gesichter nach Spielende: Malik Salifou, Jonas Grütter und Lasse Lütke-Kappenberg (v. l.) haben eine überzeugende Leistung abgeliefert.
Gemeinsames Reflektieren
Für Schiedsrichter ist das Feedback durch den Beobachter eine große Chance. Er zeigt Verbesserungspotenzial auf, reflektiert mit dem Schiedsrichter gemeinsam die Schlüsselszenen und gibt den einen oder anderen Tipp. Auch Jonas Grütter und seinen Assistenten Lasse Lütke-Kappenberg und Malik Salifou gibt er an diesem Tag nützliche Hinweise zu ihren künftigen Spielleitungen. „Sicherlich bist du vor einem Beobachtungsspiel etwas stärker angespannt als sonst“, sagt Referee Grütter im Gespräch, „aber damit lernt man umzugehen. Man bereitet sich dementsprechend vor, trifft sich im Gespann etwas früher, um sich so beispielsweise nicht unter Zeitdruck zu setzen.“ Angesprochen darauf, was ein gutes Feedback des Beobachters ausmacht, sind sich die drei Münsteraner Schiris schnell einig: Sie heben die Objektivität des Beobachters hervor, der mit den Schiris zu den Spielszenen in den Dialog tritt. Neben Kritik, so merkt Jonas Grütter an, sind Verbesserungsvorschläge für den Schiedsrichter enorm wichtig. Ganz nach dem Motto: Wie kann ich es beim nächsten Mal besser machen.Das gemeinsame Reflektieren ist der Schlüssel, sagt Schmees: „Ich höre mir immer die Sicht des Schiris an und gleiche sie mit meiner ab. So gewinnt man Perspektiven auf die Situation.“ Schließlich gehe es darum, den Schiedsrichter für gute Szenen zu loben und ihm Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. „Zum genauen Ergebnis der Beobachtung können wir nach dem Spiel jedoch nicht viel sagen. Das liegt an dem Bepunktungssystem“, erklärt Christian Schmees. Über die Saison sammeln die Schiedsrichter in den Beobachtungen ihre Punkte, aus denen am Ende der Saison ein Durchschnittswert ermittelt wird. Die Besten steigen eine Spielklasse auf, während ab der Oberliga Westfalen auch Abstiege möglich sind, wenn man im Vergleich zu anderen Schiris in seiner Liga die wenigsten Punkte eingefahren hat.
Beim Feedbackgespräch ist es für Christian Schmees wichtig, den Schiedsrichter für gute Szenen zu loben und ihm Verbesserungsmöglichkeiten für die nächste Aufgabe aufzuzeigen.
Schiri-Förderung als Motivation für großen zeitlichen Aufwand
Mit dem Feedbackgespräch ist dann der erste Teil der Rückmeldung erledigt. Nun muss Christian Schmees den Bogen schreiben und an den Verbands-Schiedsrichter-Ausschuss (VSA) schicken, wo er geprüft wird. „Auch uns Beobachtern kann es passieren, dass wir etwas nicht korrekt eintragen. Daher gilt das Vier-Augen-Prinzip.“ Dieser Prozess nimmt ein paar Tage in Anspruch, ehe der Schiedsrichter sein Ergebnis im DFBnet einsehen kann.Christian Schmees hat um die 30 Einsätze in der Saison, die ihn von der Bezirks- bis in die Regionalliga führen. Viel Zeit für den dreifachen Familienvater, die er aber gern investiert. „Ich bin Beobachter geworden, um meine Erfahrungen weiterzugeben und junge Schiris zu fördern“, sagt Schmees zu seiner Motivation. Selbst weitere Anreisen, wie er sie vor kurzer Zeit nach Straelen an den Niederrhein machen durfte, sind da keine Ausnahme. Das Beobachtungsspiel in Münster war dagegen fast schon ein Heimspiel. Nach einer intensiveren zweiten Hälfte, die vom Abstiegskampf beider Mannschaften geprägt war, endete die Partie 1:1. Jonas Grütter und sein Team brachten das Derby souverän über die Bühne. Nun warten sie gespannt auf Christian Schmees‘ Beobachtung.
[Philipp Romahn & Michelle Pruß / FLVW-Kreis Steinfurt]