
Quelle: Uli Hörnemann
Start am Schlossplatz: 2.100 Marathonläufer*innen, angeführt vom Tempomacher Hendrik Pfeiffer, sind beim 21. Volksbank-Münster-Marathon gestartet – neuer Rekord! Knapp 10.000 Aktive hatten ihre Meldung abgegeben
Das Bilderbuchwetter nutzten fast 10.000 Läufer*innen aus 47 Nationen zu flotten Zeiten. Allen voran Charles Muneria aus Kenia, der einen neuen Streckenrekord (2:09:06 Stunden) über 42,195 Kilometer aufstellte. Mit ihm waren 2.100 Marathonis gemeldet – auch das sei ein Bestwert, wie Michael Brinkmann kund tat, der Macher beim Volksbank-Münster-Marathon, der seine 21. Auflage mit einem ausgelassenen Festival aus Sport, Kunst und Kultur feierte. Auf dem bewährten Kurs durch Stadt und Land sorgten viele Show-Acts für Unterhaltung, wobei die über drei Meter hohen Giraffen eines niederländischen Stelzenlauftheaters im Zielbereich das Highlight waren.
Der Edelhase legte sich mächtig ins Zeug. Hendrik Pfeiffer höchstpersönlich spielte den „Pacemaker“ für die Topleute aus Ostafrika, die die fünf Jahre alte Höchstmarke (2:09:28 Stunden) von Justus Kiprotich attackieren wollten. Noch vorm Start schien er ein wenig nervös zu sein. „Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe“, sagte der deutsche Marathonmeister, „die Zwischenzeiten haben wir im Vorhinein abgesprochen.“ Wie ein Uhrwerk lief er die ersten fünf Kilometer in 15:25 Minuten an, passierte die zehn Kilometer in 30:39 Minuten und die 15 Kilometer in 45:48 Minuten. Charles Muneria, Martin Cheruiyot, Cornelius Kibiwott Chepkock und Justus Kiprotich, das Kleeblatt aus Kenia, folgte ihm in schöner Eintracht. Als Pfeiffer nach der Hälfte (64:25 Minuten) seine Helferdienste quittierte, waren sie allein auf sich gestellt bei Temperaturen um 20 Grad und Windstille.Muneria zieht bei 30-Kilometer-Marke davon
Nach der 30-Kilometer-Marke (1:31:37 Stunden) in Roxel sah Charles Muneria die Zeit gekommen für eine Tempospritze. Mit einem raschen Antritt zog er seinen Wegbegleitern den Zahn. Martin Cheruiyot ließ die Sohlen schleifen, Cornelius Kibiwott bemühte sich redlich, aber vergeblich um den Anschluss. Dabei überzog er, sodass Cheruiyot ihn später wieder ein- und überholte. Justus Kiprotich hatte sich längst ausgeklinkt. Muneria, der unerschrockene Bursche, witterte bereits den größten Zahltag seiner Karriere. Angefeuert von den Zuschauern am Straßenrand, die immer zahlreicher wurden, je näher das Ziel in Münster-City kam, hielt er seinen Schrittwirbel bei. Auf dem roten Teppich, der auf dem Prinzipalmarkt alljährlich ausgerollt wird, finishte Muneria unter dem Jubel der Menge in 2:09:06 Stunden. Da war er endlich, der Streckenrekord, auf den alle sehnlich gewartet hatten. Michael Brinkmann, dem Orga-Chef, plumpste ein dicker Stein von seinem Läuferherzen. „Puh! Ich war echt nervös“, stöhnte er, „doch das hat ja super hingehauen.“ Mit seiner vorzüglichen Arbeit hatte Hendrik Pfeiffer die Steilvorlage geliefert. Charles Muneria, 1,67 Meter klein und 57 Kilogramm leicht, nahm sie dankbar auf und verwandelte eiskalt.
Das Siegertrio kommt aus Kenia (von links): Martin Cheruiyot, Charles Muneria und Cornelius Kibiwott [Foto: U. Hörnemann]
Wer ist dieser Mann, der im kenianischen Hochland aufgewachsen ist? Mit 27 gehört er nicht mehr zu den jungen Hüpfern. Bislang hat sich Charles Yosei Muneria, so sein voller Name, hauptsächlich auf der Bahn ausgetobt. Seine persönlichen Bestleistungen sind eher mittelprächtig: 13:23,79 Minuten (Yokohama 2016) und 27:54,6 Minuten (Nairobi 2015). Dass ihn sein Verband dennoch für die Sommerspiele in Rio 2016 nominierte, ist verwunderlich. Im Vorlauf über 5.000 Meter kam das frühe Aus. Immerhin ist er nun Olympia-Teilnehmer, auch das ein Novum in Münster, den hatten Brinkmann & Co. bisher noch nie in ihrer Starterliste. „Ich bin recht zufrieden“, sagte Muneria wohltuend bescheiden und machte trotz eines Preisgelds von 10.000 Euro (3.000 für Platz eins, 2.000 für ein Resultat unter 2:09:30 Stunden und 4.000 für den Streckenrekord) auf Understatement, „das war erst mein zweiter Marathon.“ Seine Premiere auf der klassischen Distanz hatte er im Oktober 2022 in Amsterdam gefeiert: Platz 18 in 2:10:41 Stunden. „Der Kurs war super, die Stimmung auch“, parlierte er in gutem Englisch, „2023 komm‘ ich wieder.“ Dann wischte sich Muneria, der von Martin Cheruiyot (2:11:20 Stunden) und Cornelius Kibiwott (2:11:51 Stunden) flankiert wurde, die Schweißperlen von der Stirn und gönnte sich einen tiefen Schluck aus der Wasserpulle.
„Wir waren anfangs einen Tick zu schnell“
Und wo war Hendrik Pfeiffer abgeblieben? Er hatte noch Marcel Bräutigam und René Menzel bis Kilometer 29 gezogen, danach ging es zurück ins „Atlantic“, einem Vier-Sterne-Hotel im Zentrum, wo die Spitzenathleten logierten. „Die Strecke ist nicht einfach. Kopfsteinpflaster, scharfe Kurven, giftige Anstiege – das ist schon eine Herausforderung“, erzählte Pfeiffer seine Eindrücke, „wir waren anfangs einen Tick zu schnell, die Kenianer wollten das so, sie haben fortwährend gedrückt.“ Drei Wochen vorm Berlin-Marathon, wo Pfeiffer die Olympianorm (2:08:10 Stunden) knacken möchte, waren seine Beine etwas müde und schwer. „In der Vorwoche hatte ich 236 Kilometer zurückgelegt, das war Spitzenwert in der Vorbereitungsphase! Daher darf ich mich nicht beschweren, dass es ein bisschen zäh war und nicht so locker.“ Für den Abstecher nach Münster hatte sich der Journalistik-Student den nötigen Freiraum genommen, er stammt schließlich selbst aus dem Münsterland: aus Weseke im Kreis Borken.
Die beiden schnellsten Deutschen beim Volksbank-Münster-Marathon: Elias Sansar (l.), Gesamtsechster in 2:23:14 Stunden, und Marcel Bräutigam (r.), Siebter in 2:24:00 Stunden [Foto: U. Hörnemann]
Seit 2012 ist Elias Sansar Stammgast in der Unistadt. „Eins meiner Lieblingsrennen“, lobt er den Marathon mit Start vorm Schloss, rund um den Dom, durch das Kreuzviertel, vorbei am Aasee, über Gievenbeck, Nienberge und Roxel zum Prinzipalmarkt, im Herzen von Münster, wo das Leben pulsiert, „hier bin ich noch jedes Jahr mitgelaufen.“ Nur einmal nicht: 2021 – damals tobte die Coronakrise. Sansar steht im Ruf eines Serientäters: 15 Mal hat er den Hermannslauf von Detmold nach Bielefeld gewonnen und zehnmal die Sonderwertung des besten Deutschen in Münster. Als Gesamtsiebter in 2:23:14 Stunden distanzierte er Marcel Bräutigam (2:24:00 Stunden), den Polizeihauptmeister aus Thüringen, und revanchierte sich für die letztjährige Niederlage. „Marcel ist normalerweise etwas stärker“, gab der Ostwestfale ehrlich zu, „manchmal liegt er vorn, manchmal ich.“ Sansar ist 43 und Bräutigam 36. Nach 30 Kilometer hatte der Jüngere 15 Sekunden Vorsprung. Doch der Ältere kam näher und näher. „Bei Kilometer 39 habe ich angegriffen, da ich gesehen hatte, dass Marcel nicht mehr frisch wirkte“, berichtete er, „ich hätte sogar zulegen können.“ 2.000 Euro für den Sieg in 2:23:14 Stunden wanderten in die Haushaltskasse. Bräutigam, Zweiter in 2:24:00 Stunden, erhielt 1.000 Euro und Fritz Koch, dritter deutscher „Marathoni“ in 2:28:53 Stunden, noch 500 Euro.
Als gebürtiger Münsteraner ist Koch Lokalmatador, was freilich nicht ganz der Wahrheit entspricht. „Seit 13 Jahren wohne ich in Freiburg“, verkündete er dem Lokalreporter der Westfälischen Nachrichten, „und seit einem Vierteljahrhundert sind die Laufsportfreunde Münster mein Verein.“ Ihn habe die wahnsinnige Atmosphäre richtig gepackt, betonte Koch, der sich im Kreuzviertel an früher erinnerte: „Da bin ich zur Grundschule gegangen.“ Dass er nicht Vierter wurde, lag an der Disqualifikation von René Menzel, dem Allesläufer, der eine Bandbreite von 800 Meter (1:50,89 Minuten) bis Halbmarathon (1:06:57 Stunden) vorweisen kann. Ihm wurde von einem Kampfrichter vorgeworfen, dass er Nahrung außerhalb der offiziellen Verpflegungsstellen zu sich genommen habe. Hendrik Pfeiffer brachte diese harte Entscheidung auf die Palme: „Da wollte sich ein Wichtigtuer aufspielen.“

Mit Müh und Not die Siegprämie von 3.000 Euro gerettet: Auf dem Prinzipalmarkt wurde die Kenianerin Rebecca Jeruto, erste Frau in 2:29:13 Stunden, von heftigen Krämpfen durchgeschüttelt [Foto: U. Hörnemann]
Ein kleines Drama spielte sich derweil im Rennen der Frauen ab: Lilian Jelagat aus Kenia, 2022 Siegerin mit neuem Streckenrekord (2:27:39 Stunden) und danach kollabiert, knickte böse um, stieg ungefähr bei Kilometer 30 aus und wurde mit Verdacht auf Bänderriss ins Krankenhaus transportiert. Gute Besserung! Den Titel, der mit 3.000 Euro Prämie versüßt wurde, konnte sie nicht mehr verteidigen, den holte sich ihre Landsfrau Rebecca Jeruto (2:29:13 Stunden), die sich im dritten Marathon ihrer Karriere ins Ziel krampfte. Denn ihr Oberschenkel sendete nonstop Schmerzsignale. Zwei weitere Kenianerinnen, Jane Moraa (2:30:06 Stunden) und Judith Cherono (2:35:24 Stunden), kletterten mit ihr aufs Podest.
Hinter dem Trio aus Ostafrika und Ai Ikemoto (2:41:29 Stunden) aus Japan lief Jana Kappenberg fast die gleiche Zeit wie zwölf Monate zuvor. Mit 2:48:12 Stunden war sie 54 Sekunden zügiger unterwegs. Kappenberg, die im nahen Coesfeld aufgewachsen ist, in Telgte lebt und im Herz-Jesu-Krankenhaus in Hiltrup als Physiotherapeutin tätig ist, bewältigte die erste Hälfte in 1:24:35 Stunden und die zweite in 1:23:37 Stunden. Inmitten von Mitgliedern der Running Crew Münster, darunter „local Hero“ David Schönherr, dessen Ehefrau Johanna 2021 vor eigener Kulisse erste Deutsche war, damals unter ihrem Mädchennamen Rellensmann, schnappte sich Kappenberg die 1.000 Euro und ließ sich von ihren Kindern, Milla (19) und Jari (8), beglückwünschen. An Ort und Stelle unternahm Schönherr einen Abwerbeversuch. „Du bist bei uns herzlich willkommen“, bemerkte er lachend und bekam sofort einen Korb: „Einmal LSF, immer LSF.“ Das sei eine Herzensangelegenheit, drum halte sie den Laufsportfreunden auf ewig die Treue.

Beste deutsche Läuferin in Münster: Auf dem festlich geschmückten Prinzipalmarkt stürmt Jana Kappenberg, Gesamtfünfte in 2:48:12 Stunden, über den roten Teppich in Richtung Ziel [Foto: U. Hörnemann]
Neben der Langdistanz, dem Staffelmarathon, der auf 1.400 Vierer-Teams limitiert war, dem Charity-Run (10 Kilometer), dem Gesundheitslauf (6 Kilometer) und dem Kids-Marathon (1.000 Meter) wurde aufgrund der positiven Resonanz 2022 wieder ein 28-Kilometer-Lauf angeboten, ein Zwei-Drittel-Marathon als Test für die Herbst-Klassiker. Promi-Starterinnen waren die Schöneborn-Zwillinge, die wie Pfeiffer in Berlin dabei sind: Debbie wurde Gesamtsiegerin in 1:38:40 Stunden vor Rabea in 1:39:20 Stunden.
Am Abend, als Bilanz gezogen wurde, waren Michael Brinkmann und seine Crew total happy. Mit dem Rückenwind der 21. Auflage hoffen sie künftig auf noch mehr Akzeptanz. „Nach wie vor haben wir keine Fernsehübertragung“, stellte Brinkmann fest, „das einzige Hindernis, warum wir vom Weltverband nicht das Bronze-Label erhalten und warum die deutsche Elite bei uns keinen regulären Marathon macht.“ Dann wäre ihr Glück vollkommen.