Quelle: Peter Gehrmann
Peter Gehrmann (Schloß Holte-Stuckenbrock) ist seit 1957 im Langstrecken-, Skilang- und Orientierungslauf aktiv. Der Ausdauer-Spezialist und Buchautor, Jahrgang 1939, kennt sich wie kaum anderer im Langstreckenbereich aus. In seinem Beitrag blickt er auf die „Nacht von Borgholzhausen“ zurück, die in diesem Jahr zum 45. Mal ausgetragen wurde.
„Eine super Idee“, freuten wir ostwestfälischen Läufer uns im Sommer 1976, als aus dem nahe gelegenen Lebkuchen-Städtchen Borgholzhausen die Ankündigung eines nächtlichen Straßenlaufes kam. „So richtig unter Fackelschein, mit Bombenstimmung und einem traditionellen Lebkuchenherz am Ziel“ schwärmten wir in Vorfreude auf den damals ersten nächtlichen Stadtlauf in Deutschland.Skeptiker sahen allerdings die ehrgeizige Idee des streitbaren Borgholzhausener Organisators Friedhelm Boschulte weniger euphorisch und traten eher auf die Bremse als zur Werbetrommel für einen neuen Weg des Laufsportes zu greifen. Doch die Zweifel blieben unbegründet, und unsere Vorfreude erfüllte sich voll und ganz. Wir erlebten einen stimmungsvollen wie rasanten Nachtlauf über zehn englische Meilen durch das Ravensberger Bergstädtchen.
Rasende Popularität
Schnell wurde die „Nacht von Borgholzhausen“ zu einer bundesweiten Institution, welche die Popularität des Laufsportes vom bereits blühenden Volkslaufgedanken in weitere Höhen katapultierte. Prominente Spitzenläufer dieser Zeit, wie der spätere ZDF-Sportchef Wolf -Dieter Poschmann trugen sich in die Siegerliste der „Nacht“ ein, wie man das Event in Insiderkreisen bald nannte. EM-Bronzemedaillengewinner Herbert Steffny rannte dort mit 46: 33 Minuten einen Deutschen Rekord über 10 englische Meilen, obwohl die hügelige Strecke im Bergstädtchen ganz und gar nicht zu Rekordgelüsten anstachelte. Es war einfach die einmalige Stimmung verbunden mit alljährlich hoher Konkurrenz, welche die „Nacht“ so schnell machte.Bald entdeckten die nach Europa drängenden Läufer aus Afrika die prestigebringende Startmöglichkeit im Teutoburger Wald. Die später weltweit als Marathon-Queen gefeierte Tegla Loroupe, wurde praktisch in Borgholzhausen „entdeckt“, ehe sie in New York und Chicago ihre großen Erfolge feierte. Doch so wie die Popularität der Afrikaner durch deren Inflation bald abnahm, so ging auch der besondere Ruf der „Nacht“ bald zurück, denn allerorts kopierte man die Nachtlauf-Idee, was eine Art Inflation mit sich brachte. Auch die fachliche Kritik, mitten im Sommer einen substanzzehrenden Lauf über eine wenig populäre Distanz zu anzubieten, war nicht von der Hand zu weisen.
Konkurrenz durch nächtliche Läufe
Was die besondere Stimmung des nächtlichen Stadtlaufes betraf, bekam die „Nacht von Borgholzhausen“ ernste Konkurrenz durch die Entstehung der Advents- und Weihnachtsläufe. Gegen die Atmosphäre des im adventlichen Lichterglanz kometenhaft aufsteigenden Christkindl-Lauf im Nachbarstädtchens Wiedenbrück hatten selbst die besten Sommer-Läufe keine Chance. Die Organisatoren vom LC Solbad Ravensberg reagierten auf die beginnende Rezession durch Halbierung der Distanz auf acht Kilometer, aber die Wende der „Nacht“ in Richtung „fast normaler Volkslauf“ ließ sich nicht aufhalten. Das bedeutete: Nicht nur die Läuferzahlen, sondern auch der Zuschauerandrang wurden rückläufig, was sich zwangsläufig auf das begleitende Volksfest, dessen Einnahmen und die Sponsoren auswirkte.Jedoch der in diesen Jahren beginnenden Rückläufigkeit der Ehrenämter in den Sportvereinen leisteten die LC-Solbader tapferen Widerstand. Die von der rührigen Sabine Lühstroth gut geführte Geschäftsstelle mit besten Kontakten zu den politischen Entscheidungsträgern der Stadt konnten der „Nacht“ auch nach dem altersbedingten Rückzug des langjährigen Machers Friedhelm Boschulte kaum etwas anhaben. Jetzt zahlte es sich aus, dass der LC Solbad über Jahrzehnte neben allerlei Breitensportaktionen stets auch soliden Leistungssport gepflegt hatte. Dessen ehemalige Lokalmatadoren warfen sich nun mit ähnlichem Elan wie sie früher ihr spitzensportliches Training betrieben hatten, in die Bresche und retteten die „Nacht“.
Neue Orga-Chefin Antje Strothmann
Die Langzeit-Leistungsträgerin Antje Strothmann, die als Deutsche Jugend-Vizemeisterin auf der Mittelstrecke einmal angefangen hatte und bis zum Altersklassenbereich als international erfolgreiche Duathletin als eine Vorzeigesportlerin Borgholzhausens aktiv war, übernahm die organisatorische Verantwortung für die Laufveranstaltung, bestens unterstützt vom Laufsport-Brüderpaar Björn und Dirk Strothmann. Das Sportliche der „Nacht“ stabilisierte sich, die Strecken wurden auf 10 und 5 Kilometer vermessen, Man zog intensiv Schüler- und Firmenläufer mit ein. Letztlich wurde als exotisches Schmankerl noch eine alljährliche Deutsche Schiedsrichtermeisterschaft in die „Nacht“ eingegliedert. Anstelle von bezahlten, jedoch kaum bekannten Berufsläufern standen zwar langsamere, jedoch viel mehr populäre Lokalmatadore am Start.
Die beiden zurückliegenden Coronajahre, bei denen sich der Laufsport durch virtuelle Läufe mühsam über die Runden gequält hatte, gingen auch an den Veranstaltungen der Borgholzhausener nicht schadlos vorbei. Als jedoch mit Beginn dieser Laufsaison wieder mehr und mehr Leben in die Volkslaufszene kam, feierte die „Nacht“ ein glänzendes Comeback. Viele bunte Lauftrikots, viel Volks-, Musik- und Straßenfeststimmung kennzeichneten den späten Abend am 18. Juni, als sich die Läufer*innen des Hauptfeldes auf die 10-Kilometer Strecke machten.
Elias Sansar und Worke Amena am 18. Juni erfolgreich
Der aktuelle Hermannslaufsieger und somit Favorit Elias Sansar hielt sich abwartend im Hintergrund der Spitzengruppe, ehe er auf den letzten tausend Metern der hügeligen 10 Kilometer-Distanz durch einen langen Spurt den Sieg in 33:15 Min für sich klar machte. Zweiter wurde in 33:23 Minuten Patrick Böhme (TSV Eintracht Bielefeld) vor Pierre Danelak vom Braunschweiger LC (33:37 Min.).Bei den Frauen zeigte die Äthiopierin Worke Amena in 34:48 Minuten eine sehr gute Leistung, die vom sachkundigen Publikum zwar mit fairem Applaus bedacht wurde, der jedoch gegen die frenetischen Anfeuerungen für die auf Platz zwei einkommende Bielefelderin Ilka Wienstroth (38:58 Min.) und die ehemalige deutsche Marathonmeisterin Ilona Pfeiffer vom LC Solbad (40:35 Min.) als Dritte deutlich zurückhaltender ausfiel.
Anje Strothmann hatte als Chefin der „Nacht“ den Ablauf der Veranstaltung sicher im Griff. Sie war überall präsent und nahm zur Information für Zuschauer*innen und Teilnehmer*innen auch mal selbst das Mikro zur Hand. In Anbetracht der allgemein unsicheren Situation im zwischenzeitlichen Aufatmen innerhalb der Corona-Pandemie war sie mit dem Gesamtresultat der neu belebten „Nacht von Borgholzhausen“ durchaus zufrieden. „Es wird weiter aufwärts gehen“ prognostizierte Anje Strothmann hoffnungsvoll. Wer das gelungene Comeback der „Nacht“ erlebt hatte, der dürfte ihr zweifellos Recht geben.
[Peter Gehrmann]